Der Reformationstag

Kein Wort zum Reformationstag, denn das schreiben Theologen. Dagegen weist mich Alexander heute auf eine schwache Seite der Niedersachsen hin, die mit Reformationstag zu tun hat. Alexander ist spezialisiert auf schwache Seiten bei seinen Schülern und Lehrerkollegen. Seine starke Seite ist, dass er Finger in Wunden legt.

Wer der Reformator war? fragt er mich und ich merke, dass ich erröte, wenn auch nur leicht. Nicht, weil ich die Antwort nicht wüsste, sondern weil mich Alexanders arrogante Art zu fragen ärgert. Gar nicht komisch, diese Art, einen reifen Erwachsenen wie einen Schulbuben von anno plötzlich zu fragen. Zurück zur sachlichen Frage: Wer ist der Reformator gewesen?

Alexander hebt an: „In den Schulen in Schleswig-Holstein, in Hamburg, in Bremen", doziert Alexander, „satte 88 bis 92 Prozent richtige Antworten. Selbst in Hessen-obwohl es da katholischer wird - kennen sie den Reformator."

Alexanders Stimme hebt sich jetzt deutlich weiter, auch noch in Sachsen-Anhalt - doch, dort fragt man seit der Wende sowas auch wieder! - da kommen noch leidliche 82 bis 88 Prozent richtige Antworten zusammen!" Jetzt jedoch stürzt Alexanders Stimme ab. In Grabestiefen: (Abs.). Aber Niedersachsen! Niedersachsen -rate, was Niedersachsen hat?" Ich merke wieder mein Erröten, wenn auch nur leicht.

Ich sage Alexander, dass ich ungern rate, lieber schätze. Ich schätze, dass die Niedersachsen wohl noch unterhalb der 82 Prozent richtiger Antworten läge. So wie er fragt. Alexander starrt mich an. Wohl, weil ich seiner Information als katastrophalem Ergebnis gefasst entgegensehe und so sein Drama abschwäche. Ich bin schließlich Ober-Niedersachse.

,,78 Prozent, flüstert Alexander, nur 78 Prozent Niedersachse kennen Martin Luther!" Es fehlt jetzt bei Alexander nur eine geballte Faust. Denn jetzt ruft Alexander klagend: ,,18 Prozent denken, dass Ernst der Bekenner der Reformator sei!"

Ich denke an Herzog Ernst, an sein Gipshalbprofil im alten Celler Ernestinum, an das klobige Denkmal vor der Celler Stadtkirche und an die sensible Unterstützung, die der Welfe dem Reformator Luther derart eindrucksvoll gab, dass er den Zusatztitel „der Bekenner" erhielt. Nur deshalb wurde er ein Welfe, der in die Weltgeschichte einging.

Ich denke daran, dass damals der Luther weit weg war und wenige Nichtkirchler ihn hier im Welfenlande lasen - und deshalb ganz zu Recht mit der Reformation ihren Ernst verbanden. Ernst ließ hier vom lieben Gott als der festen Burg singen, nicht Martin Luther. Wer merkt sich schon die Dichter?

Als ich Alexander frage, was denn mit den restlichen vier Prozent Niedersachsen sei - ob die noch eine weitere Alternative zu Luther wüssten oder gar keine, da guckt mich Alexander an, wieder so an, dass ich errőte. Wenn auch nur leicht.

31. Oktober 2000